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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Die Vernichtung jüdischen Lebens - 1933 bis 1945

Einleitung

Dieses Kapitel beschreibt eine Zeit lokaler Geschichte, die den Bürgern der Stadt nicht zur Ehre gereicht. Die Vernichtung der jüdischen Bürger der Stadt war nicht ausschließlich eine Untat, die in Berlin befohlen und in weit von Deutschland entfernten Lagern ausgeführt wurde. Sie war ein Verbrechen, das seinen Anfang in dieser Stadt nahm, in vertrauter Umgebung, in unmittelbarer Nachbarschaft. Nationalsozialismus war nicht das absolut Fremde, das sich von außen der Heimat bemächtigte. Die Bereitschaft mit zu laufen, mit zu handeln, war in dieser Stadt groß.

Die notwendig nüchterne Darstellung der Geschehnisse wird unterbrochen von der Schilderung der Leiden und der Widerfahrnisse einzelner Menschen und Familien. Immer wieder wird die Perspektive der Opfer gesucht. Sie sollen wieder Personen werden mit Anschrift, Beruf und Verwandtschaft, mit Wünschen, Hoffnungen und Ängsten.

Neben den Opfern fällt der Blick auf die Täter. In den Jahren 1933 bis 1938 hat es in Hameln besonders wilde Ausschreitungen gegen Juden gegeben. Dafür waren die heimischen Nationalsozialisten, zumeist SA-Männer, verantwortlich. Niemand von ihnen ist nach dem Kriege deswegen juristisch belangt worden.

Spätestens seit 1937 wurde aber auch die städtische Verwaltung aktiv. Für die restlose Erfassung, Kennzeichnung, Isolierung und Ghettoisierung der Juden – entscheidende Schritte auf dem Wege hin zu ihrer Vernichtung – war sie mit ihren verschiedenen Ämtern verantwortlich.

Auch wenn es erklärtes Ziel des Staates war, die Juden aus Deutschland zu vertreiben, so machte gleichzeitig der Zugriff des Staates auf das jüdische Vermögen eine Ausreise sehr schwierig und zeitaufwendig. Extreme bürokratische Hürden waren zu überwinden. Die "Abwanderung der Juden" war erwünscht, die "Abwanderung des jüdischen Vermögens" galt es jedoch zu verhindern. Deutlich wird dies besonders am Schicksal der Eheleute Bernstein.

Die meisten Zeitgenossen der jüdischen Katastrophe waren weder Täter noch Opfer. Doch viele sahen oder hörten von dem Geschehen, sie waren Zuschauer. Und auch wer sich abwendete und weder fragte noch auf Gerüchte hörte, behielt ein dumpfes Bewusstsein. Das Verschwinden der Juden oder das Freiwerden ihres Besitzes signalisierte deutlich genug, was vor sich ging.

Judenverfolgung spielte sich nicht hinter verschlossenen Türen ab. Wenn die Bevölkerung auch nicht über die vielfältigen Gesetze und Erlasse informiert war, so waren doch die Auswirkungen antijüdischer Politik in einer Kleinstadt wie Hameln niemandem verborgen. Die pogromartigen Ausschreitungen gegen die jüdischen Geschäfte im Jahre 1933 geschahen in aller Öffentlichkeit. Jüdische Läden wurden geschlossen, und die neuen Inhaber zeigten stolz den Wechsel des Besitzers an. Jüdische Schüler verschwanden von den Schulen. Alle wussten von der Brandschatzung der Synagoge und der Demolierung der jüdischen Friedhöfe. Sogar der letzte Akt, die Deportationen aus Hameln und die Versteigerungen des zurückgelassenen Besitzes, geschahen in der Öffentlichkeit.

Die Verbreitung und der Grad des Antisemitismus in der Hamelner Bevölkerung lässt sich heute kaum präzise erfassen. Aber es war dieser alltägliche, gewöhnliche Antisemitismus der Bürger, der in seiner Summe die Brutalitäten der SA erst möglich machte. Die Grenzlinie zwischen Zuschauern und Tätern ist bisweilen denkbar schmal.

Es gab die, die aus dem Unglück der Juden Profit schlugen. Sie ergriffen die Gelegenheit, ein Geschäft oder ein Haus billig zu erwerben. Groß war die Gier nach den Wohnungen der jüdischen Menschen. Immer wieder wendeten sich Hamelner Bürger an die Stadtverwaltung mit der Bitte, Juden aus ihren Wohnungen und Häusern hinauszuwerfen. Diese Gier hat die sogenannten Entmietungen und Zwangsumsetzungen mit Sicherheit beschleunigt.

Und wer nicht, wie so viele Bürger damals, die Juden hasste oder ihre Not auszunutzen versuchte, der hatte doch allen Grund, jüdische Menschen zu meiden. Wer in dieser Zeit noch mit Juden Umgang hatte, musste mit Denunziation rechnen und um seine persönliche Sicherheit besorgt sein.

Dennoch gab es auch jene, die den Juden halfen. Sie taten es notwendig im Verborgenen und ohne Spuren zu hinterlassen.

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© Bernhard Gelderblom Hameln