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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Auf den Spuren des früheren jüdischen Lebens in Hameln - ein Stadtrundgang

Standort 11

Münsterkirchhof 13

Manufakturwarengeschäft Bernstein

 
Eigentümer des großen Manufakturwarengeschäftes am Münsterkirchhof 13 war Karl Bernstein. Er hatte das von seinem Vater geerbte Geschäft in den zwanziger Jahren über zwei Etagen ausgebaut. Alte Hamelner können sich noch an die "Einheitspreistage" bei Bernstein erinnern.

Bernstein hatte viele Kunden aus den Dörfern westlich von Hameln. Das war mit ein Grund, weswegen er gegen alle Anfeindungen – Hitlerjungen fotografierten Käufer beim Betreten des Geschäftes –sein Geschäft bis in das Jahr 1938 offen halten konnte.

Seit Mai 1938 planten die Eheleute Paula und Karl Bernstein den Verkauf von Haus und Geschäft und ihre Auswanderung. Nach dem "Devisengesetz" waren die Behörden berechtigt, gegenüber auswanderungswilligen Personen eine "Sicherungsanordnung" vorzunehmen, um die "Abwanderung jüdischen Vermögens ins Ausland" zu verhindern. Bernsteins mussten eine "Sicherungshypothek des Finanzamts Hameln in Höhe von 57.000 RM" stellen.

Anfang November 1938 machten die Eheleute den ersten Versuch, Geschäft und Grundstück zu verkaufen. Der Vertrag mit Felix Holtmann sah einen Preis von 190.000 RM vor.

In der Nacht des 9. November 1938 wurde das Geschäft geplündert. Unter Aufsicht eines Vertreters der Kreissparkasse wurde das umfangreiche Warenlager am nächsten Tage abtransportiert und an Hamelner Einzelhändler verkauft. Das Geschäft wurde liquidiert. Karl Bernstein selbst wurde in das KZ Buchenwald verschleppt.

Die Ereignisse verhinderten den Vollzug des Kaufvertrages mit Holtmann. Am 16. Dezember 1938 – Karl Bernstein war zu dieser Zeit noch in Buchenwald – beschlagnahmten die Behörden das gesamte Vermögen der Eheleute.

Gründe: Bernsteins sind Juden und wollen auswandern. Um zu verhindern, dass dabei Vermögenswerte widerrechtlich der Devisenbewirtschaftung entzogen werden, ist die Anordnung geboten.

Geld zum Lebensunterhalt erhielt das Ehepaar grundsätzlich nur auf mehrfache Nachfrage und mit mehrwöchiger Verspätung.

Im März 1939 – Bernstein war aus dem KZ zurück – gelang endlich der Verkauf von Haus und Grundstück. Käufer war eine Gemeinschaft von sieben Hamelner Kaufleuten. Der Kaufpreis betrug nur noch 95.000 RM und musste in voller Höhe auf ein Sperrkonto gezahlt werden.

Anfang Juni 1939 war Karl Bernstein erneut in Haft, diesmal in Hameln. In zwei Briefen an die Hamelner Kriminalpolizei hatte er versäumt, den zusätzlichen Vornamen "Israel", den alle männlichen Juden seit 1939 führen mussten, zu benutzen. Nachdem er deswegen mehrere Wochen in Untersuchungshaft gesessen hatte, verurteilte ihn das Hamelner Schöffengericht zu 200 RM Geldstrafe. Eine Gefängnisstrafe von zehn Tagen habe er durch die Untersuchungshaft verbüßt. Der Staatsanwalt begründete die hohe Strafe folgendermaßen:

Bernstein habe "die klare Trennung zwischen Judentum und deutschblütigen Menschen trotz der Verordnung nicht beachtet". Nach der "Kennzeichen-Verordnung", die "dem Abwehrkampf gegen das Judentum" dient, "soll sich jeder Jude als Jude ausgeben, sowohl im Rechts- als auch im Geschäftsverkehr".

Im August 1939 rückte die Realisierung der Auswanderung näher. Bernstein schrieb "an den Herrn Oberfinanzpräsidenten in Hannover":

Karl 'Israel' Bernstein
Judenkennkarte Hameln A 00047

Das Konsulat von Chile in Bremen hat mir am 31. Juli 1939 mitgeteilt, dass ich alle Unterlagen zum Zwecke der Visierung der Pässe für meine Frau und für mich einreichen solle, da wir auf der Liste der Einreisevisen nach Chile vermerkt sind.

Ich habe nun nachzuweisen, wie ich das von mir in Chile beabsichtigte Unternehmen finanzieren will, und bitte recht höflichst um die Genehmigung, den in der anliegenden Vermögensnachweisung aufgeführten Betrag transferieren zu dürfen. Ich habe die Absicht in Chile Kleinlandwirtschaft zu betreiben.

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass ich Frontkämpfer bin. Ich habe den Krieg vom 6. August 1914 bis zum 17. Dezember 1918 mitgemacht. Ich bin im 59.ten Lebensjahre, und bitte darum, mir den Transfer zum Wiederaufbau einer bescheidenen Existenz zu genehmigen.

Karl 'Israel' Bernstein

Im Oktober 1939 schienen die Vorbereitungen für die Auswanderung kurz vor dem Abschluss zu stehen. Die Eheleute reichten den zwölfseitigen Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut bei der Devisenstelle Hannover ein. Auch die Notwendigkeit zur Mitnahme ihrer Brillen musste durch einen Augenarzt bestätigt werden.

Die Ausreise scheiterte im letzten Moment, da Chile im Dezember 1939 eine Einwanderungssperre verhängte. Karl und Paula Bernstein ist die Flucht aus Deutschland nicht mehr gelungen. 1942 wurden die Eheleute von Berlin aus nach Riga deportiert und sind dort verschollen.

Auf einem Sperrkonto der Sparkasse des Kreises Hameln-Pyrmont blieb ein Restguthaben von 26.860 RM, das als "feindliches Vermögen" vom Finanzamt Hameln beschlagnahmt wurde.

 

Das bisherige jüdische Warenhaus am Münsterkirchhof übernahm die "Kultur-Heimatgemeinschaft Bückeberg e.V." und errichtete darin ein "Haus der Heimatkunst".

In den letzten Kriegstagen wurde das ehemals Bernsteinsche Haus total zerstört. Der Neubau nach dem Krieg hat alle Erinnerung an das Manufakturwarengeschäft Bernstein getilgt.

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© Bernhard Gelderblom Hameln