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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Auf den Spuren des früheren jüdischen Lebens in Hameln - ein Stadtrundgang

Standort 12

Münsterkirchhof

Denkmal für Senior Schläger

 
Der Münsterkirchhof als ein exemplarisch christlicher Ort und das Denkmal für Senior Schläger sind Anlass, einen Blick auf das Verhältnis zwischen Christen und Juden im 19. Jahrhundert zu werfen.

Das 19. Jahrhundert brachte seit 1870 auch den hannoverschen Juden die lange ersehnte rechtliche Gleichstellung mit den Christen. Aber schon vorher, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, war in Hameln der Senior Schläger Sprachrohr der judenfreundlichen Stimmen. Senior F. A. F. Schläger war in Hameln seit 1822 Pastor primarius und hatte bis zu seinem Tode im Jahre 1869 das geistige und soziale Leben in Hameln entscheidend bestimmt. Sein Sprachrohr waren die von ihm gegründeten und herausgegebenen Hamelschen Anzeigen zum Besten der Armen.

Mit großem moralischem Enthusiasmus forderte Schläger, die Juden aus ihrer Isolierung herauszuholen, sie den deutschen Bürgern gleichzustellen und ihnen z. B. den Zugang zum Handwerk zu erlauben. Er lobte auch Reformbestrebungen innerhalb der Hamelner jüdischen Gemeinde, etwa die Reform der Schule und die Verwendung der deutschen Sprache im Gottesdienst.
Diese Form des Philosemitismus war nicht ohne nationale Selbstüberschätzung. Die Juden, so meinte man, müssten sich angesichts der Einladung, zur Höhe deutscher Kultur und Zivilisation aufzusteigen, dankbar und anpassungsbereit zeigen. Worin dann noch die Eigenart eines deutschen Juden bestehen dürfe, davon machte sich niemand eine Vorstellung. Die Gleichstellung der Juden war für Schläger und aus der Sicht der christlichen Mehrheit nur denkbar als Anpassung, als Assimilation der Juden an das Deutschtum.

So war es für Schläger auch gar kein Problem, Juden zu Christen zu machen. Er sah sich dann am Ziel, wenn es ihm gelang, einen Juden zur Taufe zu überreden und damit aus der angeblichen Enge und Beschränktheit des alttestamentlichen Gottesglaubens zu befreien.

Im Kirchenbuch der Münsterkirche findet sich für das Jahr 1822 der Eintrag:

Michaelis, Carl Julius Albert, bisher Israelit, geb. 2. 7. 1826, getauft 23. 7. 1842 Vater Ezechiel Michaelis, Tabacksfabrikant.

Carl Julius Albert Michaelis war 16 Jahre alt, als er durch Senior Schläger getauft wurde. In seiner Taufpredigt sagte Schläger:

Du willst Dich öffentlich für einen Christen erklären.
Du hast eingesehen, dass Gott das, was Moses im Alten Testament nur andeutet, in dem Evangelium bestimmt ausgesprochen hat.
Dort ist der strenge Richter, hier der gnädige Vater,
dort nur das jüdische Volk, hier die ganze Welt, die Gott mit treuer Liebe umfasst.

Das war das übliche Muster, in dem aufgeklärte und durchaus dem Judentum zugewandte Menschen damals Christentum und Judentum einander zuordneten: Das Judentum streng, unvollkommen, eine beschränkte Gesetzesreligion – das Christentum die universale Gnadenreligion.

Ein zweites Ereignis zeigt noch schärfer das Verhältnis der evangelischen Kirche zu den Juden. Es handelt sich um die Reaktion der Kirche auf den geplanten Verkauf der Garnisonskirche 1875 an die jüdische Gemeinde. Die Stadt Hameln hatte das leer stehende Kirchengebäude der jüdischen Gemeinde, die dringend einen Raum für ihre Synagoge suchte, zum Verkauf angeboten. In der Stellungnahme der oberen Kirchenbehörde in Hannover heißt es:

Es dürfte für die "christlich gesinnten Bewohner Hamelns kaum zu ertragen sein, die St. Spiritus-Kirche künftig in jüdische Religionsbräuche übergehen zu sehen. Das müsse weit mehr stören, als wenn an einzelnen Orten unbenutzte Kirchen zu profanen Zwecken verwandt werden."

Es waren dann einzelne evangelische Pfarrer, die auf Versammlungen die Bevölkerung gegen die Umwandlung einer Kirche in eine Synagoge aufbrachten. Die Regierung in Hannover kassierte daraufhin den Kaufvertrag und die jüdische Gemeinde musste auf ein Grundstück in der abgelegenen Bürenstraße ausweichen und einen teuren Neubau errichten.

Die Einweihung der Synagoge im Jahre 1879 war ein gesellschaftliches Ereignis für die ganze Stadt. Natürlich kamen der Bürgermeister und Stadtverordnete. Evangelische Geistliche, obwohl auch sie geladen waren, kamen nicht. Sie kamen auch nicht zum 50-jährigen Jubiläum des Synagogenbaus im Jahre 1929.

Hier wird der nahezu 2000 Jahre alte christliche, besonders auch der protestantische Antijudaismus deutlich. Er war die Grundlage, auf der die Rassenideologie der Nationalsozialisten aufbauen konnte. Ohne die Jahrhunderte alte christliche Judenfeindschaft ("Die Juden haben unsern Herrn Jesus getötet") war "Auschwitz" nicht möglich. Die deutsche Christenheit hat im Dritten Reich weithin widerstandslos zugeschaut, als die Juden dem "Strafgericht Gottes" überantwortet wurden.

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© Bernhard Gelderblom Hameln